Feldenkrais.

 

Ein fiktives Interview mit Dierk Wichmann

 

Dierk Wichmann FeldenkraisFrage (F): Was ist eigentlich „Feldenkrais“?

Antwort (A):Die Feldenkrais-Methode ist ein Konzept, in dem mit Bewegungsmustern gearbeitet wird. Es geht um die Frage, wie sich jemand dabei verbessern und weiterentwickeln kann. Der Begründer dieser nach ihm benannten Methode war Dr. Moshé Feldenkrais (1904 – 1984).

F: Lernen durch Bewegung – das hab‘ ich irgendwo schon mal gelesen.

A: Genau - Feldenkrais ist ziemlich bekannt. Man findet Feldenkrais-Angebote fast überall: es reicht von Angeboten in physiotherapeutischen und Rehaeinrichtungen über Volkshochschulen bis hin zu Anbietern in Sportvereinen. Zudem gibt es auch viele Feldenkrais-Lehrer, die in freier Praxis arbeiten.

F: Was kann man mit Feldenkrais denn nun genau lernen?

A: Sie können lernen, wie Sie sich in Ihren tagtäglichen Bewegungsabläufen leichter, besser und insgesamt für Sie angenehmer organisieren können, damit Sie z.B. sich nicht immer so anstrengen müssen. In fast allen Bereichen des Lebens kann die Feldenkrais-Methode zum Einsatz kommen, sei es, um bekannte Bewegungsdefizite auszugleichen, etwas ganz Neues zu lernen, oder das was gerade angesagt ist, bewegungstechnisch besser zu organisieren.

F: Nennen Sie mir doch mal d a s Alleinstellungsmerkmal Ihrer Methode.

A: "Organisches Lernen". Das ist ein Begriff, den Feldenkrais eingeführt hat. Der beschreibt die Tatsache, dass nicht allein mit dem Kopf, sondern auch mit dem Körper gelernt wird. Und zwar durch Bewegung. "Wahrgenommene Bewegung und bewegte Wahrnehmung" ist eine treffende Schilderung oder Erläuterung.

F: Das kann ich mir nicht so richtig vorstellen. Denn wenn meine Muskeln zu schwach sind, gehe ich in die Muckibude, ich gehe joggen, oder mache irgendeinen Sport.

A: Vorausgesetzt, Ihre Muskeln sind tatsächlich zu schwach, oder Sie möchten etwas für Ihren Kreislauf tun. In der Regel ist das aber gar nicht der Fall. Meistens sind die Bewegungen unzweckmässig, weder den Eigenschaften des eigenen Körpers, noch der konkreten Situation angemessen. Man weiß buchstäblich nicht mehr, wie "es" geht.

F: Aber wieso: ich bewege mich doch, um etwas zu erreichen. Und wenn ich mein Ziel erreicht habe, ist es doch richtig, was ich gemacht habe.

A: Natürlich. Auch. Das gilt, wenn Sie Ihre Tätigkeit von Ihrem Ziel her beurteilen. Wenn Sie dagegen das "Wie", die Art und Weise dieser Bewegung betrachten, dann könnten Sie auf andere Ideen kommen, was die Qualität dieser Tätigkeit betrifft. Es geht bei uns immer um die Qualität von Bewegung.

F: Und wie muss ich mir das vorstellen?

A: Zum Beispiel, könnten Sie sich folgendes fragen: sind meine Bewegungen leicht und einfach? Kann ich wirklich spüren, wie ich sie mache? Kann ich sie je nach Anforderung mit Leichtigkeit verändern oder anpassen?

Jede Bewegung ist total individuell!

Bewegung ist neben dem Körperbau und Minenspiel das ganz besondere Merkmal eines Menschen, seine ganz persönliche Note - einmalig weltweit, wie ein Fingerabdruck. Jedes "Bewegungsprogramm" muß ganz individuell sein. Das war in unserer Kindheit so und gilt auch heute noch. Zwar haben alle Menschen ähnliche Knochen, Muskeln und Organe. Auch manche Verhaltensweisen ähneln sich sehr, z.B. weil sie angeboren sind. Aber auf diesen Grundlagen haben alle Menschen in ihrem Leben etwas ganz Eigenes gelernt!

F: Was bedeutet denn nun "Lernen an und durch Bewegung" konkret?

A: Die Feldenkrais-Methode möchte Bewegung wieder zu einer Erfahrung, einem Erlebnis machen. Die Grundlage für diese Erfahrungen liegen im Empfinden, im Erspüren einer bestimmten Bewegung. Das ist die Grundlage. Und plötzlich kann es passieren, daß das, was einem schwierig vorkam, plötzlich viel leichter geht und Spaß macht! Es gibt sehr viele Übungen dazu, die man nach dem eben genannten Motto "Wahrgenommene Bewegung und bewegte Wahrhehmung" in der Gruppe oder auch allein machen kann.

F: Und das hat Feldenkrais mit seiner Arbeit gemacht?

A: Genau. Dies entdeckt und verfügbar gemacht zu haben, ist das Verdienst Moshé Feldenkrais': Über Jahre hinweg hat er sich selbst auf den Boden gelegt und die allermeisten der heute gängigen Bewegungen, die wir in unserer Methode anwenden, entwickelt. Eine wahre Schatzkiste! Feldenkrais war aber auch Wissenschaftler durch und durch. Als Ingenieur und Doktor der Physik hat er die Ergebnisse seiner an sich selbst angestellten Forschungen auf eine objektive naturwissenschaftliche Basis gestellt.

F: Und die wären?

A: Eine Bewegung, ein Bewegungsmuster kann nur so gut und effizient sein, wie ich mich selbst dabei empfinde! - Wie ich schon sagte, gibt sehr viele unterschiedliche Feldenkrais-Lektionen in denen man angeleitet wird, selbst zu entdecken, wie man sich über Bewegung selbst neu und besser kennenlernen und bewegen kann. Es geht weniger um ein Ziel von Bewegung, sondern um den Weg, den man währenddessen beschreiten könnte. Und vielleicht entdeckt man ja auch, daß es mehrere Wege gibt, die "zielführend" sind.

F: In welchen Situationen, bei welchen Krankheitsbildern wird Ihre Therapie angewendet?

A: Also zunächst kann die Feldenkrais-Methode nicht so richtig in den grossen Kreis der körpertherapeutischen Methoden wie beispielsweise der Physiotherapie eingeordnet werden. Wir sind im Grunde keine Therapeut*innen, weil wir ja eigentlich "nur" Organisches Lernen vermitteln.

F: Aber wo liegt der Unterschied? 

A: Es gibt hier bedeutsame Ähnlichkeiten zwischen therapeutischem (z.B. Physiotherapie) und pädagogischem Vorgehen (Feldenkrais).

Der gemeinsame Nenner heißt: Lernen. Nehmen Sie die Physiotherapie: Die ganze dort enthaltene Vielfalt unterschiedlicher Methoden hat zum Ziel, die Patient*innen wieder zu einem Leben zu befähigen, an dem sie gut teilnehmen können - ganz genauso wie bei uns. Aber die Art und Weise der Vermittlung von Bewegungserfahrungen unterscheidet sich. Unser Lernansatz ist weiter gefasst ist. Stichwort: "Wahrgenommene Bewegung und bewegte Wahrnehmung". - Und ist nicht auch jedes gelungene Lernen heilend? Was ist der Unterschied zwischen pädagogischem und therapeutischen Herangehen? In unseren Augen ist diese Unterteilung künstlich und wenig hilfreich. Aber ich möchte Sie nicht mit dieser Art Überlegungen langweilen.

F: Nochmal: Wo ist der Unterschied?

A: Es gibt einen krassen Unterschied zwischen mechanischem Üben und Lernen! Und wir in der Feldenkrais-Methode sehen zu, dass mehr gelernt, als geübt wird. - Um Mißverständnisse gleich gleich auszuräumen: Wiederholung ist notwendig; es gibt aber einen grossen Unterschied zwischen einem sich wieder - holen und einem rein mechanischem Repetieren.

F: Schön! Dann erklären Sie mal, wann Ihre Methode zum Einsatz kommt.

A: Jeder Mensch der sich, - also seine Bewegungsgewohnheiten -, verändern möchte, egal ob sie Schmerzen verursachen oder nicht, kann zu uns kommen. Jede Stunde, egal ob in der Gruppe oder einzeln, ist maßgeschneidert auf die individuellen Bedürfnisse und Gegebenheiten. Das scheinbar Selbstverständliche einer Bewegung, die gewohnte Bewegung, über die wir uns gar keine Gedanken machen müssen -, wird auf wohltuende und gesunde Weise aufgeschlüsselt, ergänzt und in gutem Sinne verfügbar gemacht, damit wir wissen, wie wir etwas tun und bei Bedarf auch verändern können. Auch viele Menschen mit erworbenen oder angeborenen Einschränkungen kommen häufig.

F: Was ist denn das Gesunde an der Feldenkrais-Methode?

A: Die TeilnehmerInnen z.B. einer Feldenkrais-Gruppe in „Bewußtheit durch Bewegung“ lernen, sich wieder auf die Beschaffenheit ihres Körpers zu beziehen, sich zu spüren. Sie lernen, auf das fein differenzierte, das vom Gehirn gesteuerte Zusammenspiel zwischen Skelett, Muskel- und Fasziensystem, zu achten. Sie lernen, sich buchstäblich „aufzuspüren“. Und dann bei Bedarf zu verändern, zu verbessern. Hinzu kommt, - und das ist im Vergleich zu anderen Systemen völlig anders -, der aktive Einbezug der Schwerkraft, dieser elementaren Kraft in unserem Leben, der alles Leben auf unserem Planeten direkt unterworfen ist.

Man lernt also wieder, seinen Organismus so zu gebrauchen, wie er in Bezug auf die Schwerkraft beschaffen und beweglich ist. Und nicht, wie man glaubt, daß er so oder so beschaffen sein muß. Diese Art, sich so zu organisieren, nennen wir „organisches Lernen.“Die Neurobiologie zeigt dann auch sehr eindrücklich, daß unser Gehirn im Grunde nichts anders kann und will als – lernen und organisieren: Ordnungen schaffen! Deshalb brauchen wir übrigens auch über unsere tagtäglichen Bewegungen kaum nachzudenken. Sie werden durch immer neue Erfahrungen gefestigt und ergänzt. Sie sind "wie selbstverständlich", kommen aber nicht "von selbst"!

F: Bitte etwas konkreter!

A: Bevor wir irgendetwas machen können, wollen wir etwas Bestimmtes unternehmen: wir haben eine Absicht. Dadurch greifen wir unmerklich auf ein umfangreiches Repertoire von Bewegungserfahrungen zurück, die wir bislang erlernt haben und die mit dem Impuls zu tun haben. Auf die kommt es an! Die erlernten Bewegungserfahrungen ermöglichen uns immer wieder, z.B. beim Frühstück Zeitung lesen und dabei erfolgreich Kaffee trinken zu können. Dies Repertoire vermittelt uns also, wie das geht. Wenn dann diese Ordnung durch irgendetwas erschüttert wird, müssen wir lernen, das Gleiche auf andere Weise zu tun, oder etwas ganz Anderes zu lernen: also eine neue Ordnung schaffen. Das geht besonders leicht und einfach, wenn man organisch gelernt hat, das auszuführen, was möglich erscheint. „Das Unmögliche möglich, das Mögliche leicht, das Leichte angenehm“ zu machen, wie es Feldenkrais einmal formulierte.

Das bedeutet aber auch, daß aber wir alle unsere so genannten "Unfähigkeiten" gelernt haben und auch weiter lernen! Hier möchte die Feldenkrais-Methode Hilfestellungen geben zu einem selbst-bewußteren, effektiven und klaren Verhalten. Die Feldenkrais-Methode ist also jenseits von Yoga, Pilates, jenseits von Fitnesstraining, gymnastischen Übungen, Muskelkräftigung, jenseits aller sportlichen Aktivitäten angesiedelt.

Sie widerspricht ihnen nicht - im Gegenteil: sie verhilft ihnen erst dazu, sich voll entfalten zu können! Sie verhilft zu einem effektiveren und gesünderen Umgang mit sich selbst und damit besser zu dem, was man gerade tun möchte.

F: Und wie wird dieser hohe Anspruch in die Tat umgesetzt? Ich kann mir das nicht so recht vorstellen.

A: Ich gebe Ihnen mal einen Überblick. Die Feldenkrais-Methode untergliedert sich in zwei miteinander verzahnte Bereiche:

"Bewußtheit durch Bewegung" wird die Anwendung der Feldenkrais-Methode in der Gruppe genannt. Meistens liegen die TeilnehmerInnen dabei auf dem Boden. Aber auch andere Ausgangspositionen (Seit-, Bauchlage, Sitz, auf allen Vieren, Stand, mit oder auf dem Stuhl usw.) werden öfter genutzt. Nach Anleitung wird eine Bewegungslektion durchgeführt. Währenddessen geht es darum, die eigene Art und Weise, das "Wie" der eigenen Bewegung zu entdecken und zu erleben. es geht nie um richtig oder falsch, aber auch nicht um die Beliebigkeit einer Bewegung, Auf diese Aufmerksamkeit kommt es an! Es geht darum, durch diese Übungen besser mit sich umzugehen und Gewohnheiten, mit denen Sie sich selber schaden, durch bessere, zweckmässige zu ersetzen. Für Besserung und Fortschritt sorgt der Inhalt der Übungen. Aber: wer hier perfekt sein und sich übertreffen will, steht sich selbst im Weg.

"Funktionale Integration" ist die Einzelarbeit der Feldenkrais-Methode. Es werden hier die gleichen Prinzipien angewendet wie in "Bewußtheit durch Bewegung": Abwesenheit von Anstrengung, Leichtigkeit der Bewegungen, differenzierende Wiederholungen, ein gewisses Maß an Zeit.
Sie geschieht meist nonverbal in unterschiedlichen Ausgangspositionen. Der/die Feldenkrais-Lehrer/in unterrichtet durch die Bewegungen, die er dem/der SchülerIn mit seinen Händen zeigt und reagiert auf die spürbaren Veränderungen.
Diese weitgehend ohne das gesprochene Wort auskommende Weise der Feldenkrais-Arbeit führt zu eindrucksvollen Veränderungen und Verbesserungen des Körpergefühls, der Beweglichkeit sowie der "mentalen Beweglichkeit".

LITERATURLISTE

A.

FELDENKRAIS, Moshé:

Bewußtheit durch Bewegung. Der aufrechte Gang. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M 1968ff

Abenteuer im Dschungel des Gehirns. Der Fall Doris. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M

Die Entdeckung des Selbstverständlichen. Insel Verlag, Frankfurt/M 1985 (auch Suhrkamp)

Das starke Selbst. Anleitung zur Spontaneität. Insel Verlag, Frankfurt/M 1989 (auch Suhrkamp)

Die Feldenkraismethode in Aktion. Junfermann Verlag, Paderborn 1990

Der Weg zum reifen Selbst. Phänomene menschlichen Verhaltens. Junfermann Verlag, Paderborn 1994

B.

ALON, Ruthy: Leben ohne Rückenschmerzen. Bewegen im Einklang mit der Natur. Junfermann Verlag, Paderborn 1993

Besser leben ohne Rückenschmerzen. Bewegen im Einklang mit der Natur. Junfermann Verlag, Paderborn 1995

HANNA, Thomas:

Beweglich sein - ein Leben lang. Die heilsame Wirkung körperlicher Bewußtheit. Kösel Verlag München 1990

Das Geheimnis gesunder Bewegung. Wesen und Wirkung Funktionaler Integration. Die Feldenkrais-Methode verstehen lernen. Junfermann Verlag, Paderborn 1994

KRAUSS, Jeremy:

Einfach bewegen. Feldenkrais – der Weg zur Verbesserung von Bewegung und Beweglichkeit. Junfermann Verlag, Paderborn 1996

RYWERANT, Yochanan: Die Feldenkrais-Methode. Lehren durch Behandeln. Kübler u. Akselrad Verlag, Heidelberg 1985 (auch Goldmann Taschenbuch)

RUSSELL, Roger (Hrsg.):

Feldenkrais im Überblick. Thomas Kaubisch Verlag Karlsfeld 1999

Dem Schmerz den Rücken kehren. Thomas Kaubisch Verlag 2002

SHELHAV-SILBERBUSH, Ch:

Bewegung und Lernen. Die Feldenkrais-Methode als Lernmodell. Verlag Modernes Lernen Dortmund 1999

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.